Die Digitalisierung kann massiv dazu beitragen, die akademische Lehre insgesamt attraktiver, individualisierter, effektiver und flexibler zu gestalten. Neue, vor allem digitale Lernformate kommen den Forderungen nach zeit- und ortsunabhĂ€ngigem Lernen, FlexibilitĂ€t und personalisierten Lernwegen entgegen. Diese studentischen Forderungen werden immer gewichtiger aufgrund einer Zunahme von nicht-linearen Bildungswegen, einer parallelen BerufsausĂŒbung, einer VolatilitĂ€t der Berufsdefinitionen und der vermehrten Nutzung digitaler Instrumente auch in der Ausbildung. Gleichzeitig erwartet die Arbeitswelt heute von den zukĂŒnftigen Arbeitnehmern, dass sie ein grosses Set an sogenannten “Soft Skills” oder “Kompetenzen fĂŒr die digitalisierte Arbeitswelt” mitbringen. Dazu gehört insbesondere Problemlöse-FĂ€higkeit, kritisches Denken, KreativitĂ€t, Empathie, TeamfĂ€higkeit (inklusive KommunikationsfĂ€higkeit und die FĂ€higkeit zum kollaborativen Arbeiten) und EntscheidungsfĂ€higkeit. Der Erwerb dieser Kompetenzen wird im heutigen traditionellen (Schweizer) Bildungswesen noch massiv vernachlĂ€ssigt.

Die Digitalisierung eröffnet ganz neue Möglichkeiten fĂŒr dieses individualisierte Lernen und fĂŒr den Erwerb der oben genannten, nicht-fachlichen Kompetenzen. Dazu gehören insbesondere neue, digitale und flexible Lernformate, aber auch neue Formen des Lernens, welche durch digitale Formate erleichtert werden.

So ist breit anerkannt, dass Studierende, die in ihrem Studium durch selbst-gesteuertes oder personalisiertes Lernen viele Freiheitsgrade erleben, persönliche/nicht-fachliche Kompetenzen erwerben, welche in der heutigen Arbeitswelt immer mehr gefordert werden. Unbestritten ist auch die Wichtigkeit von sozialen und kollaborativem Lernen, durch welches Prozesse eingeĂŒbt werden können, die in der heutigen Arbeitswelt Standard sind und die als natĂŒrliche Form des Lernens gelten. Weiter gilt das VerstĂ€ndnis von und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen als wichtig. “Deep Learning”, realitĂ€tsnahe Unterrichtsmethoden mit problem- projekt- und forschungsbasiertem Lernen, die kritisches Denken, Problemlösen, Zusammenarbeit und selbstbestimmtes Lernen fördern, sind ein weiterer Zweig beim Erwerb nicht-fachlicher Kompetenzen, wie auch die Integration von Unternehmertum ins Studium und die damit einhergehende Förderung einer Innovationskultur.

Die vermehrte Verwendung digitaler Medien und Werkzeuge im Unterricht fĂŒhrt zu neuen Lernformaten, die eine grosse Flexibilisierung und Personalisierung erlauben und damit die Lehre fĂŒr die heutigen Studierenden attraktiver und fĂŒr nicht-traditionelle Studierende eventuell erst möglich machen. WĂ€hrend heute die Hochschulen vor allem im Grundstudium immer noch stark von der PrĂ€senzlehre geprĂ€gt sind und umfassende digitale Lernformate primĂ€r als Einzelinitiativen eingesetzt werden, wird davon ausgegangen, dass der Anteil digitalem Lernstoff an der Hochschule auf rund Ÿ steigt und vermehrt im Blended Learning oder Flipped Classroom unterrichtet wird.

Die Bereitstellung digitaler Inhalte unterstĂŒtzt gleichzeitig den selbst-gesteuerten oder personalisierten Unterricht insofern, dass sie dem Studierenden erlaubt, selbstĂ€ndig aus einer Vielzahl zur VerfĂŒgung gestellter Quellen auszuwĂ€hlen. Weiter erlauben die diversen Werkzeuge des Web 2.0 den Aufbau einer persönlichen Lernumgebung (PLE) im Sinne einer Sammlung von virtuellen, vertrauensvollen Quellen diverser Natur und einer (persönlichen) Plattform zur Verarbeitung und Sichtbarmachung von Gelerntem. Diese LerntagebĂŒcher und Portfolios gelten dabei als eine neue Form des Assessements, welche auch die nicht-fachlichen Kompetenzen einbezieht. Eine persönliche (offene) Lernumgebung ist damit das moderne, agile GegenstĂŒck eines traditionellen LMS. Gleichzeitig ermöglicht sie ein “richtiges” soziales und kollaboratives Lernen, das dank virtueller Vernetzung mit Personen und Institutionen ĂŒber den engen Kreis der Mitstudierenden hinausgeht und sich damit am lebenslangen Lernen orientiert.

Werden solche Massnahmen wie projekt-basierter Unterricht, selbstbestimmtes Aussuchen von Ressourcen oder Erstellen eines e-Portfolio als Einzelinitiativen in einen bestehenden Studiengang eingebettet, wirken sie als Fremdkörper, als Zusatzaufgabe, und fĂŒhren nicht zu einer VerĂ€nderung des Lernverhaltens und damit zum Erwerb neuer Kompetenzen. Digitales Lernen und damit einhergehende neue Lernformen mĂŒssen als Grundsatz fĂŒr das ganze Curriculum gelten, um akzeptiert und inkorporiert zu werden. Gleichzeitig mĂŒssen die Studierenden daran herangefĂŒhrt werden. Nach jahrelangem konsumierendem Lernen ist diese VerĂ€nderung zu selbstbestimmtem Lernen etwas, das nicht von alleine geschieht. Es kann im Gegenteil zuerst als nachteilig wahrgenommen werden, da es vom geradlinigen („schnellen“) formalen Autobahn-Lernen zu einer kurvenreichen Strasse mit vielen Abzweigungen fĂŒhrt, welche vom Studierenden als ineffizient wahrgenommen werden kann. Es ist also die grosse Herausforderung fĂŒr die Lernbegleiter, die Freude an Umwegen zu wecken und die getĂ€tigten Wege, nicht nur die Lernresultate zu wĂŒrdigen. Und dies beginnt wieder im analogen Raum, in der Lehrveranstaltung, die Zeit und Raum lĂ€sst fĂŒr Fragen, Diskussionen, Ausprobieren und Scheitern.

Referenzen

  • Notions of Disruption- Digital Competences; Sabine Seufert; Nov 2017. Explorative Studie des Schweizerischen Wissenschafts- und Innovationsrates; https://www.swir.ch/de/publikationen-de
  • The Future of Jobs Report- Employment, Skills and Workforce Strategy for the Fourth Industrial Revolution; World Economic Forum; January 2016 http://reports.weforum.org/future-of-jobs-2016/
  • NMC Horizon Report: 2017 Higher Education Edition. Adams Becker, S., Cummins, M., Davis, A., Freeman, A., Hall Giesinger, C., and Ananthanarayanan, V. (2017)., Austin, Texas: The New Media Consortium.
  • Trendstudie Digitale Bildung auf dem Weg ins Jahr 2025; mmb Institut- Gesellschaft fĂŒr Medien- und Kompetenzfoschung mbH, Essen 2016
  • Anforderungen der Digitalisierung an Hochschulen, hochschulstrategische Prozesse und Hochschulpolitik; Projekt Hochschule der Zukunft, Fernhochschule Hagen; MĂ€rz 2018
  • Monitor Digitale Bildung- Die Hochschulen im digitalen Zeitalter; Dr. Ulrich Schmid et al.; CHE Centrum fĂŒr Hochschulentwicklung/BertelsmannStiftung, MÀrz 2017 CC-BY-ND, DOI 10.11586/2017014